Die Kloake. Der Pfuhl. Die Jauchegrube. Die Sünde Genuas. Die Hure. Das schwarze Herz.
Keiner der Namen für Clavicula war hübsch, doch alle beschrieben sie das kleinste und am dichtesten besiedelte Sestiere ausgesprochen gut.
Tausende lebten hier, hunderte Flüchtlinge waren dazu gekommen, all diejenigen, die ohne ehrliche Arbeit waren, die Glücksritter aus den Dörfern und den Wäldern, die vom Krieg der Könige, von Hugo ‚dem Italer‘, Lothar ‚der Puppe‘, Otto ‚dem Großen‘ und Berengar ‚dem Knieenden‘ vertrieben worden waren. Sie alle sammelten sich hier, liefen wie ein Fluss durch die Hügel, wurden von der Flut in Platealonga angespült und landeten schließlich am niedrigsten Punkt der ganzen Stadt.
In Clavica, das eingesperrt war zwischen dem Bischofskastell und den Schergen der Reichen im Süden, zwischen den aschenen Feldern Domus‘ im Norden, dem Meer menschlicher Leiber und Reisender am Hafen und den luftigen Höhen von Raveccha und Broglio.
Alles senkte sich hier zu Boden, alles drückte und drängte nach unten. Denn dies war der einzige Weg, um dem Elend zu entkommen: Noch tiefer zu versinken.
Klein und erbärmlich war es in Clavicula, wo jeder Blick den Neid schürte. Eng sind die Gassen in dem überbauten Stadtteil, kaum breit genug für einen Mann, stickig die Luft von dem Miasma tausender hungernder und schreiender Menschen, Tiere und Verbrecher und düster die Straßen, in denen hohe und wackelige Holzkonstrukte sich in den Himmel schrauben.
Nur auf den Plätzen und Piazze ist der Himmel mehr als ein schmaler Streifen Dampf.
Doch jeder Blick nach oben offenbarte nur die schönen Villen im Süden oder den blauen Himmel über den Köpfen oder die grünen Hügel im Osten. Jeder Blick nach oben fiel auf etwas schöneres als das eigene Leben und weckte Gier und Neid und Hass in den Menschen.
Sich in den dunklen Abgründen zwischen den Häusern aufzuhalten, die faule Luft zu atmen, sich an den schmutzigen Leibern zu reiben war beileibe kein angenehmes Gefühl. Noch weniger Freude bereitete nur das Leben hier.
In den dunklen Ecken lauerten die Männer des ‚Königs aller Diebe‘, der seit Jahrzehnten das Viertel fest im Griff hatte, auf jeder Straße begegnete man den Schergen des ‚grauen Silvio‘, der mehr die Diebe vor den Bürgern schützte als andersherum, auf jedem Platz verbreiteten die irren Anhänger des ‚Propheten‘ ihre Ressentiments gegen die Herren.
Und trotzdem, trotzdem findet sich eine gewisse Schönheit in dem elendsten Viertel, harsch und grausam wie das Leben selbst.
Jede Nacht brachte etwas Neues hervor: Eine neue Tragödie, eine unerhörte Liebschaft, eine kreative Todesart, ein unvorstellbares Verbrechen, eine ungewöhnliche Geschichte.
Hinter jeder Ecke wartete ein unbekanntes Gesicht, ein fremder Name, ein frisches Verlangen, ein unerforschter Hinterhof.
Jeder Platz veränderte sein Antlitz. Nie war der Platz der schwarzen Katzen derselbe, nie verblassten die Zauber des Hofes der Wunder, immer wilder wurde die goa di birra, immer fremder der Maskenplatz.
Das Volk von Clavica kostete die volle Süße des Lebens in jedem Augenblick und in jeder Stunde ihres Wachens, denn in der Kloake währte es nur allzu kurz.